MIt Dana Jestel habe ich auf dem Degrowthkongress im September 2014 in Leipzig einen Workshop durchgeführt.
Mit guten Gründen wächst die Kritik am Wachstum an allen Enden, aber ein nahe liegendes Feld dieser Kritik bleibt merkwürdig ausgespart: das Bevölkerungswachstum – so auch auf den Degrowth-Kongressen.
Zumindest hier auf dem Degrowth-Kongress sind wir uns alle einig, dass die gegenwärtigen Ansprüche der Menschheit die Erde überlasten und überlegen, wie wir die Ansprüche auf möglichst gerechte Weise einschränken können. Aber es ist doch klar, dass die Gesamtbelastung das Produkt aus dem Durchschnittsverbrauch des einzelnen Menschen und der Gesamtzahl der Menschen ist. Die Senkung des individuellen Verbrauchs ist notwendig und ehrenhaft, aber sie bleibt de facto hinter den Hoffnungen zurück. Es wäre also sehr fahrlässig, den anderen Faktor des Produkts, die Anzahl der Menschen auf unserem Planeten völlig beiseite zu lassen. Die Übernutzung der Ressourcen der Erde ist das Produkt aus Menschenanzahl und Individuellem Verbrauch. Damit ist auch klar, dass das Problem nicht unbedingt dort am größten ist, wo die meiste Bevölkerung lebt oder diese am stärksten wächst.
Die stärkste Belastung haben wir gegenwärtig in Europa und Nordamerika, wo eben der individuelle Verbrauch am größten ist. Gegenwärtig verbraucht die Bevölkerung der Industrieländer so viele Ressourcen, dass es fünf Erden bräuchte, um diesen Verbrauch aufrechterhalten zu können. Der Ressourcenverbrauch muss schrumpfen, die Bevölkerungszahl aber auch. Schrumpfte die Bevölkerung in Europa auf ein Fünftel, wäre das in etwa die Bevölkerungsdichte gegen Ende des 18 Jahrhunderts also zu Beginn der Industrialisierung. Was für das Thema Degrowth generell von Bedeutung ist, gilt auch für das Thema Bevölkerungswachstum. Im Zeitraum von 1400 bis 1800 n.Chr. hat sich die Zahl der Menschen auf dem Planeten verdoppelt. Seitdem verdoppelt sie sich alle 30-40 Jahre. Es kann sein, dass wir schon zu viele Menschen sind, damit der Anspruch eines jeden auf ein gutes Leben erfüllt werden kann. Ernährt werden können sicher noch sehr viel mehr Menschen. Aber jeder Mensch sollte nicht nur genug zu essen, sondern auch ein Recht auf Bildung, Gesundheit und gute Lebensbedingungen haben.
In Deutschland stagniert die Geburtenrate, sie ist sogar rückläufig. Dass die Bevölkerungszahl trotzdem zunimmt liegt an der Zuwanderung. Statt stagnierende Geburtenraten als positive Entwicklung zu begrüßen, reden uns Politik und Arbeitgeberverbände ein, es sei ein Problem oder gar eine Katastrophe und die Politik müsse gegensteuern. Wieso eigentlich? Da sind zum einen die Kosten für einen Rückbau der Infrastruktur, zum anderen aber ideologische Gründe: das Sinken der Produktivität und die Unbezahlbarkeit der Renten in einer alternden Gesellschaft. Das angeführte Argument einer Überalterung der Gesellschaft, hält bei näherer Betrachtung nicht stand: Zum einen verursachen Kinder, deren Aufzucht und Ausbildung, ebenso Kosten wie die Pflege alter Menschen, zum anderen bleibt der Anteil der Bevölkerung im produktiven Alter ungefähr gleich, wenn es zwar mehr ältere Menschen gibt, dafür aber auch weniger Kinder. Die Vorstellung, welcher der Angst vor zu wenigen Kindern zugrunde liegt scheint eher die zu sein, dass die Produktivität nicht weiter wachsen könne, wenn die Bevölkerungszahl abnimmt. Die Angst vor der schrumpfenden Bevölkerung hat auch damit zu tun, dass wir die Vorstellung haben, unser Wohlstand und Auskommen hänge im Wesentlichen von der Produktivität der arbeitenden Generation ab. Neben dem Produktionsfaktor Arbeit gibt es aber auch die natürlichen und sonstigen Ressourcen, die für die Produktion gebraucht werden.
Je mehr Ressourcen wir verbrauchen, desto höher wird nicht nur die Ausbeutung der Erde, sondern auch der Arbeitsaufwand, der zu dieser Ausbeutung nötig ist. Mit einem geringeren Ressourcenverbrauch könnten wir also besser leben und müssten weniger arbeiten. Erhaltungs- oder Rückbaumaßnahmen in Siedlungen, weil die Bevölkerungszahl abnimmt, sind insgesamt betrachtet weniger teuer als weiterer Ausbau und Neubau, weil die Bevölkerungszahl wächst. Bevölkerungsrückgang ist eindeutig von Vorteil für den Ressourcenverbrauch. Umgekehrt verursacht ein grenzenloser Anstieg in jedem Fall Probleme. Das Gesagte gilt im Prinzip nicht nur für die Industrieländer, sondern generell. Die Länder des Südens haben derzeit einen noch vergleichsweise geringen Ressourcenverbrauch. Aber die Ansprüche werden wachsen, und es ist gar nicht zu sehen, wie diese Ansprüche Wirklichkeit werden können, ohne Verringerung der Bevölkerungszahl. Es gibt Prognosen, die davon ausgehen, dass das Bevölkerungswachstum ohnedies an sein Ende gelangt sei. Aber selbst wenn sich die Erdbevölkerung bei 10 Milliarden stabilisiert, ändert das nichts daran, dass der Ressourcenverbrauch für 10 Milliarden höher ist als für fünf Milliarden.
Ein weiterer Einwand dagegen, die Begrenzung des Bevölkerungswachstums zum Thema zu machen, ist dass es sich nicht beeinflussen lasse, oder dass dies aus moralischen oder humanitären Gründen nicht geschehen solle. Aber das ist ein Missverständnis. Bevölkerungspolitik kann viele Formen haben und nicht alle sind ethisch akzeptabel. Kinder solle nur der haben, der es sich leisten kann, oder nur Eltern einer bestimmten Herkunft oder Hautfarbe sollen Kinder haben, sind ganz sicher keine guten Regelungen. Die Ein-Kind-Politik in China, obwohl ein Erfolg, ist ebenso fragwürdig. Fragwürdig ist aber auch, Angst vor der Überalterung einer Gesellschaft zu schüren. Letztlich lassen sich über alle Kulturkreise hinweg ähnliche Gründe für einen Rückgang der Geburtenraten feststellen. Dazu zählen: ein gutes Gesundheitssystem, allgemeiner Zugang zu Bildung auf hohem Niveau, eine gleichberechtigte Stellung der Frauen, gerechte Gesellschaften ohne Armut, funktionierende Sozialsysteme. Sich dafür einzusetzen, ist auch Bevölkerungspolitik. Für das Bevölkerungswachstum gilt das Gleiche wie für das ressourcengebundene Wachstum: Es gibt Alternativen. Was hat das mit Commons und Solidarität zu tun? Gerrit Hardins, dessen Tragödie der Allmende Herzstück der neoliberalen Propaganda gegen Gemeineigentum und solidarische Wirtschaft war und ist, war selbst kein Neoliberaler. Er war ein Umweltbewegter und ein Advokat der Beschränkung des Bevölkerungswachstums. Wie jeder Allmendebauer (und wie auch Elenor Ostrom) wusste er, dass man eine Allmende nicht überweiden darf. Das gilt eben auch für die Erde. Entscheidend ist, dass die Beschränkung eben nicht durch Kriege, Klimakatastrophen oder ein reaktionäres „Es ist nicht genug für alle da“, sondern solidarisch geregelt wird.
Und hier schon mal die Folien: